Herbst Winter 2022
Kooperative Vertragsmodelle am Bau
Gängige Bauverträge verhindern oft schnelle Reaktionen bei der Lösungsfindung bei diversen Problemen. Alternative Modelle wie etwa der Allianzvertrag stellen Kooperation und Partnerschaft wieder in den Fokus.
Die österreichische Baubranche ist bekannt für ausufernde Rechtsstreitigkeiten, Kosten- und Bauzeitüberschreitungen und ein hohes Risikopotenzial für alle Beteiligten. Gerade bei komplexen Projekten berichten Bauunternehmen jeder Größenordnung von verhärteten Fronten. Der Wissenschaftler Udo Blecken nennt in seinem Werk „Baukostensenkung durch Anwendung innovativer Wettbewerbsmodelle“ die derzeit angewendeten Vertragsformen als Ursache für unwirtschaftliches Bauen. Diese Meinung spiegelt sich quer durch die aktuelle Literatur wider. Wie kann man hier gegensteuern und Lösungen schaffen, die den eigentlichen Hauptakteur – das Bauprojekt selbst – zurück in den Mittelpunkt rücken? Mit dieser Frage beschäftigt sich das Team von RIEDERBAU seit geraumer Zeit und entwickelt gemeinsam mit Rechtsanwalt Dr. Stephan Heid alternative Ansätze für die Vertragsgestaltung.
BEST-FOR-PROJECT-PRINZIP
Um Dumpingpreise, unkalkulierbare Risikoübertragungen, ein ausuferndes Nachforderungsmanagement und allen voran Misstrauen zwischen den Vertragspartner*innen aus dem Weg zu räumen, haben sich in Nordeuropa schon seit einiger Zeit kooperative Vertragsmodelle etabliert – zugunsten aller Beteiligten. „Unsere nordischen Nachbarn agieren oft in der Rolle des Vorreiters, wie etwa Finnland. Die Zeit scheint aber auch in Österreich reif zu werden, um über Grundlagen und Methoden einer verstärkten Kooperation zwischen den Vertragspartnern zu diskutieren“, so Anton Rieder. Im Unternehmen RIEDERBAU gibt es derzeit drei Vertragsmodelle, wie der Baumeister erläutert: „Wir arbeiten mit Regieverträgen, Einheitspreisverträgen und Pauschalverträgen und möchten diese Varianten in naher Zukunft um eine vierte Option ergänzen.“ In erster Linie geht es darum, Vertragsdiskussionen zu verringern und sich auf das wesentliche Geschäft zu konzentrieren. „Das Nachtragsmanagement frisst Unmengen an zeitlichen und personellen Ressourcen auf beiden Seiten“, betont Anton Rieder die große Schwachstelle der in Österreich gängigen konfrontativen Vertragsmodelle. Die Idee bei Alternativen, wie etwa dem Allianzvertrag, besteht darin, dass sich Auftraggeber*innen sowie ausführende Unternehmer*innen als Team zusammenschließen, sich gemeinsam an der Projektumsetzung beteiligen und das optimieren.
"Im Gegensatz zum üblichen Claim Management wird bei kooperativen Verträgen die Zufriedenheit einer Partei nicht auf Kosten der anderen erreicht. Dieses Vertragsmodell erfreut sich international großer Beliebtheit, weil es einen partnerschaftlichen Ansatz verfolgt. Vereinfacht gesagt: Man versucht die Interessen der Beteiligten auf ein gemeinsames Ziel, die bestmögliche Realisierung eines Bauprojekts, auszurichten."
Anton Rieder
KOOPERATION STATT KONFRONTATION
Kooperative Vertragsmodelle bieten neben einer hohen Transparenz noch weitere Vorteile, wie Anton Rieder erläutert: „Durch eine gemeinsame Risikoübernahme steigt das Bestreben aller, gemeinsame Lösungen zu finden. Im Fokus steht nicht mehr die Fehlerzuweisung an die jeweils andere Seite, sondern das Ziel, so schnell wie möglich das Problem aus der Welt zu schaffen.“ Dadurch können Risikozuschläge minimiert und die Gesamtkosten gesenkt werden. Entscheidend ist, dass alle Vertragsparteien gleichermaßen gewinnen oder verlieren, je nachdem, wie sich die Gesamtkosten entwickeln. Die Gewinne sind zwar gedeckelt, dafür gibt es aber auch keine Verluste. In Österreich werden gleich mehrere Pilotprojekte im öffentlichen Bereich umgesetzt. „Wir analysieren derzeit, in welcher Form ein viertes Modell auch für unsere Kund*innen interessant sein kann und absolvieren dafür Workshops mit unserem Geschäftspartner Dr. Stephan Heid.“
SCHON GEWUSST?
Unter einem Claim versteht man die Forderung von Projektpartner*innen, die sich infolge einer Abweichung vom ursprünglichen Projektauftrag ergibt. Abweichungen können hinsichtlich der vereinbarten Termine, der Kosten oder der zu erbringenden Qualität entstehen. Dabei sind Nachträge in allen Bereichen, vor allem aber im Baubereich, nicht die Ausnahme, sondern vielmehr die Regel. Unter Claim-Management versteht man die „Überwachung, Bewertung, Entscheidung, Dokumentation und Steuerung der Umsetzung von Änderungen im Projekt gegenüber der bisher gültigen Planung. Beim Anti-Claim-Management geht es also um die Abwehr unberechtigter Forderungen.
6 Fragen an Rechtsanwalt Dr. Stephan Heid
RIEDERBAU arbeitet aktuell mit drei Vertragsmodellen und möchte künftig ein viertes Modell ergänzen. Können Sie uns bitte schildern, um welche Art „Vertrag“ es sich dabei handelt?
Wir bringen den bisher gelebten partnerschaftlichen Ansatz nunmehr auch in die Vertragswerke. Konkret erarbeiten wir gemeinsam einen „Allianzvertrag Hochbau“, bei dem Bauherr*innen sowie Bauunternehmen einen gemeinsamen Risikotopf für Unvorhergesehenes definieren. Tritt das Risiko tatsächlich ein, sind beide Seiten bestrebt, die negativen Folgen des Risikoeintritts so gering wie möglich zu halten, damit der Topf möglichst wenig angegriffen wird. Beide Vertragsparteien sitzen damit im selben Boot. Das Bauunternehmen muss nicht claimen und der Auftraggebende braucht kein Anti-Claim-Management. Wenn der Risikotopf nicht zur Gänze aufgebraucht wird – oder überhaupt unberührt bleibt, weil kein Risiko eintritt – wird er beispielsweise fifty-fifty zugunsten beider Vertragsparteien verteilt.
In welcher Form unterstützen Sie RIEDERBAU auf diesem Weg?
Das Schwoicher Totalunternehmen steht seit vielen Jahren für Innovation aus Österreich. Beispielsweise konnten wir uns als Juristen schon vor Jahren zum Thema Building Information Modeling bei RIEDERBAU schlaumachen. Dieser ständige Blick über den Tellerrand deckt sich mit unserem Bestreben, passend zum technologischen Fortschritt auch vergaberechtlich und vertraglich neue Tools anbieten zu können. Meine langjährige Geschäftsbeziehung mit RIEDERBAU ist von Vertrauen und Wertschätzung geprägt.
Welche Vorteile ergeben sich für die Auftraggeber*innen bei solchen kooperativen Verträgen?
Bauherr*innen können darauf vertrauen, dass sie nur das zahlen, was für einen ordnungsgemäßen Bau objektiv erforderlich ist. Es gibt keine versteckten Kosten, bei denen sich die Baufirmen ein „Körberlgeld“ machen können. Alle Abrechnungen werden als „Open-Book-Modell“ transparent auf den Tisch gelegt, bis hin zu den Rechnungen der Subunternehmen. Außerhalb des gemeinsamen Risikotopfs kann zur erleichterten Abrechnung auch mit echten Pauschalen gearbeitet werden, bei denen die Baufirma auch das Massenrisiko trägt.
Warum ist der Einheitspreisvertrag problematisch?
Der Einheitspreisvertrag ist für Bauherr*innen eine „Black Box“. Sie sind auf Erfahrungswerte von Planer*innen angewiesen, die stimmen können – oder angesichts volatiler Märkte sehr oft auch nicht. Das ist für eine sorgfältige Budgetierung – gerade in Zeiten von steigenden Zinsen – nicht optimal. Daher ist der kooperative Ansatz mit (Teil-)Pauschalen und geteilten Risikotöpfen die kostentransparentere Methode. Verstärkt wird dieser Sicherheitsgedanke, wenn man bereits zu Beginn auch „Abwurfpakete“ definiert, welche die Einhaltung der Budgetvorgabe zusätzlich absichern.
Sie sammeln schon seit 20 Jahren österreichweit Erfahrungen mit alternativen Abwicklungsmodellen. An welchen Pilotprojekten waren Sie beteiligt?
Begonnen haben wir mit Totalunternehmermodellen im Hochbau, später haben wir den GU+ dazu entwickelt und heute arbeiten wir mit Allianzverträgen im Hoch- und Tiefbau. Den ersten Allianzvertrag haben wir gemeinsam mit der TIWAG beim Projekt „Gemeinschaftskraftwerk Inn (GKI)“ entwickelt. Weitere folgten bei der TIWAG im Kraftwerksbau und werden gerade umgesetzt. Im Hochbau haben wir in Rotholz vor ein paar Jahren einen Schulbau im GU+ Modell vergeben, mit BIM als Planungstool. Dieses Projekt hat eine Arbeitsgemeinschaft unter Beteiligung von RIEDERBAU als Vorzeigeprojekt abgewickelt.
Finnland gilt im Bereich der kooperativen Verträge als Vorreiter. Was macht dieses Land anders als wir hierzulande?
Die Finn*innen haben seit 2010 mehr als 70 Allianzprojekte umgesetzt, nicht nur bei Infrastrukturprojekten, sondern auch bei Schulen, Krankenhäusern und Flughäfen. Die Erfahrungen werden in der finnischen Verwaltung gebündelt ausgewertet und wissenschaftlich begleitet. Dahinter steht ein wirtschaftspolitischer Plan, die Vorteile von Allianzmodellen – unter breitem Einsatz digitaler Werkzeuge – für die Gesellschaft zu heben. Zu- dem werden „Abwurfpakete“ definiert, welche die Einhaltung der Budgetvorgabe zusätzlich absichern.