

Frühjahr Sommer 2025
Zwischen Regeln & Revolution
„Alles muss mehr werden“ – Bürokratie, Materialverbrauch, Baukosten. Doch was passiert, wenn man den Mut hat, Normen zu hinterfragen? Das Forschungsprojekt „Bauen außerhalb der Norm“ zeigt, wie die Bauwirtschaft durch Flexibilität, Digitalisierung und Nachhaltigkeit wieder leistbar werden kann.
Die Bauwirtschaft steckt fest. Seit Jahrzehnten treiben immer strengere Normen und starre Vorschriften Baukosten in die Höhe, behindern Innovationen und verkomplizieren die Umsetzung von Projekten. Doch es regt sich Widerstand: Das Forschungsprojekt „Bauen außerhalb der Norm“, initiiert von Anton Rieder, Geschäftsführer und Inhaber von RIEDERBAU, untersucht neue Ansätze und alternative Wege, die Zukunft der Baubranche nachhaltiger und flexibler zu gestalten. „Wir haben heute wesentlich bessere Materialien und digitale Möglichkeiten, doch wir benötigen immer mehr Ressourcen, um dieselben Gebäude zu errichten wie früher. Da läuft doch etwas falsch“, hält Anton Rieder fest, der selbst auf über 30 Jahre Erfahrung in der Branche zurückblickt. Gemeinsam mit einem Expertenteam, bestehend aus Daniel Deutschmann, einem Juristen mit bautechnischem Hintergrund, und Georg Fröch, Assistenzprofessor an der Universität Innsbruck, hinterfragt er, ob es immer „mehr“ sein muss – mehr Bürokratie, mehr Material, mehr Anforderungen.
VERALTETE BAUVORSCHRIFTEN: HINDERNISSE FÜR INNOVATION
Normen sind ursprünglich dazu gedacht, Sicherheit und Qualität zu gewährleisten. Doch laut Rieder und seinem Team haben sie sich im Laufe der Jahre immer weiter aufgebläht – mit teils absurden Folgen. Ein Beispiel: Gebäude, die früher mit 50 Kilogramm Stahl pro Kubikmeter Beton auskamen, benötigen heute mindestens 100 Kilogramm. „Die Anforderungen wurden so weit nach oben getrieben, dass sie uns wirtschaftlich und ökologisch belasten“, so Rieder. Das Forschungsprojekt zeigt, dass Normen oft überdimensioniert sind. Der Gebäudetyp E aus Deutschland, der flexiblere Vorschriften nutzt, dient dabei als Vorbild. Deutschmann ergänzt, dass Normen juristisch gesehen keine Gesetze sind, sondern lediglich rechtlich unverbindliche Empfehlungen von Fachausschüssen. Dennoch werden sie durch die Hintertür – etwa über den einzuhaltenden „Stand der Technik“ in Baugesetzen – quasi verpflichtend. Für Bauherr*innen und Auftragnehmer*innen bedeutet dies hohe Kosten und wenig Spielraum. Das Forschungsprojekt schlägt vor, diese Regeln aufzubrechen, ohne Sicherheits- oder Qualitätsverluste zu riskieren.

"Unser Ziel ist es, Wahlmöglichkeiten zu schaffen. Niemand soll gezwungen sein, außerhalb der Norm zu bauen, aber wir wollen zeigen, dass es Sinn machen kann."
Anton Rieder
Geschäftsführer RIEDERBAU
PRAXISBEISPIELE: EINSPARUNGEN MIT GROSSER WIRKUNG BEI RIEDERBAU
STAHLBETONDECKEN – WENIGER MATERIAL, GLEICHER NUTZEN
Ein konkretes Beispiel aus dem Forschungsprojekt ist die Betrachtung von Stahlbetondecken im Wohnungsbau. Nach aktuellen Normen dürfen Risse in den Decken nur eine Breite von 0,25 Millimetern aufweisen. Doch Untersuchungen zeigen, dass durch eine Reduktion der Bewehrung die Risse zwar minimal größer werden (0,15 Millimeter mehr), dies jedoch weder die Tragfähigkeit noch die Gebrauchstauglichkeit beeinträchtigt. „Wenn wir die Bewehrung signifikant reduzieren, können wir Kosten um bis zu 15 Prozent senken und gleichzeitig den CO₂-Ausstoß durch geringeren Betonverbrauch um 10 Prozent reduzieren“, erklärt Fröch. „Das zeigt, wie viel Potenzial in der Überprüfung von Normen steckt – ohne dass Sicherheit oder Funktionalität leiden.“
WÄRMEPUMPEN – BESSER DIMENSIONIERT DURCH SIMULATION
Ein weiteres Beispiel ist die Bemessung von Heizungsanlagen, etwa Wärmepumpen. Derzeitige Normen führen häufig zu überdimensionierten Systemen, die teurer sind und eine kürzere Lebensdauer aufweisen. Eine Simulation, die das tatsächliche Verhalten eines Gebäudes detailliert abbildet, zeigt, dass eine kleinere Anlage ausreichen würde. „Unsere Berechnungen ergaben, dass mit einer dynamischen Gebäudesimulation die Kosten für Wärmepumpen um 25 Prozent gesenkt werden könnten – bei gleicher oder sogar besserer Leistung“, so Fröch. Zusätzlich ließen sich der Energieverbrauch und damit die Emissionen erheblich reduzieren. Diese Beispiele verdeutlichen, dass durch intelligente Anpassungen an bestehende Normen nicht nur Kosten gesenkt, sondern auch ökologische Vorteile erzielt werden können.
DIGITALISIERUNG ALS SCHLÜSSEL: BIM UND DIGITALE ZWILLINGE
Ein zentraler Ansatzpunkt des Projekts ist die Digitalisierung. „Building Information Modeling (BIM) gibt uns die Möglichkeit, Bauprojekte effizienter zu planen und besser vorherzusagen, wie Gebäude reagieren“, erklärt Fröch. BIM erlaubt es, digitale Gebäudemodelle zu erstellen, die nicht nur die Planungsphase vereinfachen, sondern auch neue Potenziale in der Bauweise eröffnen. Mit digitalen Zwillingen können alternative Normenansätze simuliert und getestet werden, bevor sie in die Praxis umgesetzt werden. Für Fröch ist klar: „Die Digitalisierung wird der Schlüssel sein, um die zunehmende Komplexität in der Bauwirtschaft zu bewältigen. Sie gibt uns Werkzeuge an die Hand, die wir gezielt einsetzen können, um Effizienz und Nachhaltigkeit zu steigern.“
NACHHALTIGKEIT ALS TREIBENDER FAKTOR
Ein weiteres zentrales Thema des Projekts ist Nachhaltigkeit. Die Baubranche ist eine der ressourcenintensivsten Industrien weltweit. „Die Gebäude, die wir vor 30 oder 50 Jahren gebaut haben, waren oft viel nachhaltiger als die heutigen – einfach deshalb, weil weniger Material verbraucht wurde“, so Rieder. Fröch ergänzt: „Ökonomische und ökologische Nachhaltigkeit gehen oft Hand in Hand. Wenn wir weniger Material verbrauchen, sparen wir nicht nur Kosten, sondern reduzieren auch den CO2-Fußabdruck.“

"Meine Vision ist eine Bauwirtschaft, die digitale Technologien voll ausschöpft, um alte Muster zu durchbrechen."
Georg Fröch
Assistenzprofessor an der Universität Innsbruck
PARTNERSCHAFT STATT KONFRONTATION
Neben technischen und ökologischen Aspekten beleuchtet das Projekt auch die rechtliche Seite. Deutschmann schlägt alternative Vertragsmodelle wie Allianzverträge vor, die auf einer gemeinsamen Risikosphäre basieren. „Statt dass jede Partei versucht, sich abzusichern, teilen Auftraggeber*innen und Auftragnehmer*innen Risiken und Vorteile gleichermaßen“, erklärt er. Dies schaffe nicht nur Vertrauen, sondern ermögliche auch eine flexiblere und innovationsfreundlichere Zusammenarbeit.
FREIHEIT FÜR INNOVATIONEN
Das Ziel des Projekts ist klar: Es soll keine Normen abschaffen, sondern zusätzliche Optionen öffnen. „In jedem Lebensbereich haben wir Wahlmöglichkeiten – vom Auto bis zum Restaurant. Nur beim Bauen gibt es meist ausschließlich die Maximalvariante“, kritisiert Rieder. „Wir wollen die Freiheit schaffen, dass Bauherr*innen selbst entscheiden können, welche Standards sie umsetzen wollen – natürlich immer im Rahmen der Sicherheitsanforderungen.“ Die ersten Ergebnisse des Forschungsprojekts zeigen, dass dies nicht nur möglich, sondern auch dringend notwendig ist. Mit einer Kombination aus digitalen Werkzeugen, nachhaltigem Denken und rechtlicher Flexibilität soll die Bauwirtschaft eine neue Ära einläuten – eine, in der Innovation, Effizienz und Kosteneffizienz Hand in Hand gehen. Das Forschungsprojekt „Bauen außerhalb der Norm“ ist ein Aufruf, alte Denkmuster zu hinterfragen und mutig neue Wege zu gehen. Denn nur so kann die Bauwirtschaft zukunftsfähig und nachhaltig gestaltet werden.

"Allianzverträge schaffen eine gemeinsame Risikosphäre, die Innovationen fördert und gleichzeitig rechtliche Sicherheit bietet."
Daniel Deutschmann
Jurist bei Heid & Partner Rechtsanwälte
Statements
Georg Fröch: „Meine Vision ist eine Bauwirtschaft, die digitale Technologien voll ausschöpft, um Komplexität zu beherrschen und Nachhaltigkeit voranzutreiben. Durch Projekte wie dieses können wir unseren Studierenden und der Branche zeigen, dass Innovation möglich ist, ohne die Sicherheit zu gefährden. Es ist Zeit, dass wir den Mut finden, die alten Muster zu durchbrechen.“
Daniel Deutschmann: „Die rechtliche Seite des Bauens wird oft als Hindernis gesehen, doch ich sehe darin auch Potenzial. Mit innovativen Vertragsmodellen wie Allianzverträgen können wir eine neue Kultur der Zusammenarbeit schaffen, die Risiken minimiert und Innovation fördert. Unser Ziel ist es, sowohl Bauherr*innen als auch Auftragnehmer*innen rechtliche Sicherheit zu bieten.“
Anton Rieder: „Wir müssen die Bauwirtschaft wieder zurück zu ihren Wurzeln bringen, ohne dabei die Chancen der Digitalisierung und der Nachhaltigkeit aus den Augen zu verlieren. Normen sind wichtig, doch sie dürfen nicht zu einem Hindernis für Innovation und Kostenkontrolle werden. Mit diesem Forschungsprojekt möchten wir zeigen, dass es auch anders geht. Wir möchten nicht verpflichten, sondern inspirieren.“
