

Herbst Winter 2024
Comeback der Kreislaufwirtschaft
Der „European Green Deal“ lässt auch im Bauwesen keinen Stein auf dem anderen. Angepeilt wird ein großes Ziel, nämlich ein bedingungsloses Comeback der Kreislaufwirtschaft. Ein digitaler Pass steht dabei als dauerhaft anwendbare Datenquelle für die Nachhaltigkeit von Produkten.
Die Bereiche Nachhaltigkeit und Wiederverwertung ursprünglich eingesetzter Werkstoffe wurden angesichts des weithin klingenden Rufes nach niedrigeren Preisen lange Zeit ignoriert, auch in der Bauwirtschaft. „Wir stehen jetzt vor der Situation, dass sich eine Unmenge von Produkten auf den Märkten tummelt, die eine kurze Haltbarkeit aufweisen und gleichzeitig schwer zu recyceln sind“, mahnt Otto Handle an. Der Tiroler Baumeister leitet die größte eu- ropäische Arbeitsgruppe (CEN JTC 24 WG4 digital product passport), die sich mit der Umsetzung des sogenannten „Digitalen Produktpasses“ befasst. Die Union ist angesichts endlicher Rohstoffquellen und der massiven Abhängigkeit von global operierenden Lieferanten bestrebt, sich verstärkt in Richtung Kreislaufwirtschaft (Circular Economy Action Plan – CEAP) zu bewegen. Der Produktausweis wird auch die Verwendung von digitalen Modellen (Building Information Modeling – BIM) revolutionieren.

"Mit der Einführung des Digitalen Produktpasses verfolgt die EU zugleich ökonomische und ökologische Ziele. Die Wirtschaft des Kontinents muss weiterhin konkurrenzfähig bleiben, aber nicht auf Kosten von Umwelt und durch Raubbau an der Natur."
Baumeister Ing. Otto Handle MBA
ist von der Bundesinnung in den Euro-Normenausschuss entsandt.
EINDEUTIG IDENTIFIZIERBARE HERKUNFT
„Bauwesen und Gebäude“ gehören zu den Standardbereichen, in denen der Digitale Produktpass ab dem Jahr 2028 verpflichtend gilt. In dem verbindlichen elektronischen Do- kument werden zum einen Informationen über die Zusammensetzung eines Produktes festgehalten, zum anderen erhält man wertvolle Auskünfte über Haltbarkeit, Repara- turmöglichkeiten und neuerlichen Einsatz.
Den Ausweis kann man sich dabei als eine Art Datencontainer vorstellen, in dem die Parameter 24/7 und ausfallsicher bereitgestellt, zusammengeführt und geteilt werden.
„Die Europäische Union denkt bei den Vorschriften das Bestreben nach umfassender Digitalisierung schon mit“, erklärt Otto Handle die Intention des ehrgeizigen Projektes. Der Produktpass gilt als Schlüsselelement des angestrebten Kreislaufes. Navigiert wird dabei entlang der Wertschöpfungskette, was zum einen die Transparenz über die Herstellung erhöht. Zum anderen wird so die erneute Verwendung zuvor eingesetzter Materialien gefördert, Abfall vermieden und der Verbrauch von Ressourcen limitiert. Die rechtlichen Rahmenbedingungen für den digitalen Ausweis sind bereits definiert. Zurzeit wird noch geklärt, wie aktualisierte Informationen eines Produktes ersichtlich sind und wie alle wichtigen Daten jederzeit verfügbar gemacht werden können.
EINGANGSPARAMETER IN DER GEBÄUDEPLANUNG
Ein besonders herausstechendes Merkmal macht den Digitalen Produktpass zu einem einzigartigen Instrument in der Bauindustrie. Die im Ausweis verzeichneten Informationen können meist problemlos von Computerprogrammen verarbeitet werden, sind also maschinenlesbar – ein klarer Vorteil bei der Verwendung von Building Information Modeling kurz BIM. Künftig werden alle Erzeugnisse der Baubranche mit einem Pass umfassend dargestellt.
„Mit dem Digitalen Produktpass bilden wir unsere Bemühungen zur Nachhaltigkeit ab. Außerdem dienen die Daten als Eingangsparameter in der Gebäudeplanung“, gibt Otto Handle zu verstehen. Mit einem solchen Ausweis, der die Eigenschaften eines Produkts detailliert und in einem Datensatz kumuliert auszeichnet, kann optimal geplant wer- den. Es lassen sich informationsbasierte Entscheidungen treffen. Der digitale Pass signalisiert auch die Einsatztauglichkeit der Materialien.

PLANUNGSSICHERHEIT AUCH IN ZUKUNFT
Der Digitale Produktpass wird als zuverlässige, ständig einsetzbare, maschinenlesbare und kostenfreie Informationsquelle konzipiert. Die Parameter hierzu werden von der Europäischen Union definiert. Mitgenommen werden sämtliche Eigenschaften eines Erzeugnisses, nicht enthalten ist der Preis.
Anwender*innen können sich darauf verlassen, dass die Datensätze auch in 25 Jahren noch lesbar sein werden. Jede gebäuderelevante Software kann über eine einfache Verlinkung auf die Inhalte zugreifen. Auf diese Weise wird mit dem Einsatz von Produkten geplant, von denen man auch in späteren Jahren gesichert weiß, welche bautechnischen Eigenschaften sie aufweisen. Ein weiterer Vorteil erschließt sich für Architektur und Planung in der Möglichkeit, bereits zu Beginn mit den echten Daten ins Rennen zu gehen. Das hilft vor allem bei der Optimierung eines Bauwerkes nach verschiedenen Gesichtspunkten und bei der Automatisierung. Die EU legt bei der Erstellung des Regelwerkes größten Wert auf Unabhängigkeit und dauerhaften kostenfreien Zugriff. Der Digitale Produktpass muss stetig präsent sein, selbst wenn der ursprüngliche Hersteller vom Markt verschwindet oder von einem anderen Unternehmen übernommen wird.
INFORMATIONSTRÄGER FÜR ALLE PLANUNGS- UND BETRIEBSPROZESSE
Beim Einsatz von BIM-Tools, die zum Aufbau digitaler Gebäudemodelle dienen, bietet sich den Planer*innen oft noch ein heterogenes Umfeld. So müssen in die Software beispielsweise häufig Änderungen aufgrund wechselnder Baupartner*innen eingearbeitet werden. So gesehen wird das Building Information Model mit einer Unmenge an Informationen „aufgeblasen“, das BIM wird als Datenbank missbraucht. Das Ergebnis sind unfassbar viele unterschiedliche Produkt-Parameter, was dazu führt, dass das Modell nicht mehr praxistau- glich arbeitet und der Datenexport fast unmöglich wird.
Abhilfe schafft der Digitale Produktpass. Das Gebäudemodell liest die Informationen aus dem Pass über eine Internet-Verknüpfung aus. Das Ergebnis ist ein „entschlacktes“ Gebäudemodell, in dem Links auf Daten verweisen, die permanent und kostenfrei zur Verfügung stehen. Die Stärken des Building Information Modeling werden durch den Digitalen Produktpass weiter gefördert. Durch seine Objektorientierung wird es zum Informationsträger für alle Planungs- und Betriebsprozesse, außerdem kann es für Folgesysteme bereitgestellt werden.

NACHHALTIGKEIT VERMINDERT AUSSTOSS
Die Verlängerung der Lebensdauer von Produkten kann den Ausstoß von CO2 signifikant vermindern, wie Untersuchungen zeigen. Würden beispielsweise Smartphones ein Jahr länger halten, könnten bis zum Jahr 2030 2,1 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß vermieden werden. Das entspricht den Emissionen von einer Million Kraftfahrzeugen. Eine ähnliche Rechnung lässt sich für die prolongierte Betriebsbereitschaft von Waschmaschinen, Staubsaugern und Notebooks/Tablets erstellen.
Drei elementare Fragen
Mit dem Einsatz des Digitalen Produktpass treten ökologische und ökonomische Zielsetzungen in den Fokus. Nachdem die rechtlichen Rahmenbedingungen festgelegt sind, müssen noch drei Fragen geklärt werden:
- Wie wird sichergestellt, dass immer aktuelle Informationen eines Produkts im Digitalen Produktpass ersichtlich sind?
- Wie werden alle relevanten Informationen jederzeit verfügbar gemacht?
- Wo und wie sind die Daten abrufbar?